WiYou.de - Ausgabe 04/2014 - page 53

Klingeling
Um Pressekonferenzen kommt man als für die Presse Arbeitende natürlich nicht herum, was auch nicht weiter
schlimm ist, sind sie in der Regel nicht ganz uninteressant – hin und wieder gar recht spannend und manchmal
richtig unterhaltsam. Für diese jetzt steht eine Auswahl Wirtschaftswichtiger und lokaler Politprominenz auf der
Wir­haben­etwas­zu­berichten­Liste. Das versammelte Pressepublikum lauscht seit etwa einer halben Stunde mehr
oder weniger gespannt dem Geschehen, als es in den Reihen hinter mir unruhig wird. Ich sitze mittig in der zweiten
von vorn und kann aus dem Gemurmel zunächst nicht mehr ausmachen, als eben Gemurmel. Und, da, da ist noch
etwas. Eine leise Melodie, die ein bisschen klingt wie – instinktiv greife ich nach meiner Tasche, dabei aber ins
Leere, da diese nicht über dem Stuhl, sondern mit denen der anderen an der Garderobe neben der Tür hängt. Es
wird von dort aus zunehmend lauter und klingt inzwischen nicht nur ein bisschen wie, sondern genauso wie: mein
Handy. Nein, das kann gar nicht sein. Ich habe es definitiv ausgeschaltet. Wie jedes Mal, weil man das nun mal so
macht. Ich bin mir sicher. Sicher sicher. Eigentlich. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich in diesem Fall irre,
schlägt die Wahrscheinlichkeit, dass noch ein anderer hier im Raum 80er­Jahre­Zeichentrickserienmelodien als
Klingelton hat. Es klingelt immernoch. Jetzt so laut, dass es auch bei den Rednern vorn zu hören ist, die ihrerseits
nun schweigen und strafend in die Menge gucken. Würde hier das Iphonestandardgedudel durch die Reihen schal­
len, wäre sicher der ein oder andere meiner rund 40 Mithörer nervös geworden, aber so sind um mich herum alle
von ihrer Unschuld überzeugt auf der Suche nach dem Übeltäter und mir wird ein bisschen unwohl. Ein bisschen
sehr. „Das gibt’s doch nicht, irgendjemandemmuss das doch gehören“, übertönt das Geklingel. „Einfach aufstehen,
rübergehen, entschuldigen und Handy ausmachen“ rät mein inneres Ich tollkühn. Das äußere kann aber nicht mehr
als unbehaglich auf dem Stuhl herumzurutschen. Wenn ich wenigstens am Rand sitzen würde. Ich merke, wie mir
zuviel Blut in den Kopf steigt. Ich versuche, mich klein zu machen und irgendwie unsichtbar auszusehen. Offenbar
erfolglos. Mein rechter Sitznachbar lehnt sich herüber. Er verdreht sichtlich genervt die Augen und flüstert: „Na,
also langsam wird’s ja peinlich.“ Ich zucke zusammen. War da ein spöttischer Unterton zu hören? Weiß er, dass es
meins ist?? Ich versuche, trotzdem nicht ertappt zu gucken und nuschele verkrampft: „Naja, kann doch jedem mal
passieren.“ Der Nachbar zur Linken mischt sich ein: „Im Kino vielleicht, nicht hier. Man sollte dann wenigstens den
Ar*** in der Hose haben und das Ding ausmachen.“ Und er hat ja irgendwie Recht. Allerdings guckt er dabei so
sauer, dass sich mein Mut, der gerade dabei war, hervorzukriechen, um dem ganzen ein Ende zu bereiten, sofort
wieder aus dem Staub macht. Ich ziehe Aussitzen vor und bohre angespannt meine Fingernägel in die Handflächen.
Wenn es nur endlich aufhören würde zu klingeln. In der Tasche tut es das auch nie lang genug, um gefunden zu
werden. Und hier? Und wer ruft mich überhaupt um diese Zeit an? Ich arbeite schließlich. Ich werde sauer auf alle,
die meine Nummer haben. Dann sauer auf mich selbst. Ich hole tief Luft, doch aufstehen? Die Menge wird allmäh­
lich ungeduldig und zunehmend feindseliger. Der Pressesprecher versucht mit „Meine Damen und Herren, bitte!“,
wieder Ruhe unter eben diese zu bringen und witzelt: „Sollte es sich um ein Smartphone handeln, wird uns sicher
der Akku bald erlösen.“ Er erntet vereinzelte Lacher. Ich steure ein gequältes Lächeln bei, um keinen Verdacht zu
erregen und flehe stumm um Erlösung, einen Feueralarm, oder etwas in der Art und dann ist es plötzlich still.
Zumindest an der Garderobe. Gott sei Dank. Oder der Mailbox.
Schussi, eure Mamu
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